Interview mit Dr. Jürgen Dietrich vom Staatsweingut Meersburg
Wein hat in der menschlichen Entwicklung schon immer eine wichtige Rolle gespielt, sei es wegen seiner Wirkung als Zivilisationsbereiter, sei es als praktischer Beitrag zu gesellschaftlichen Veränderungen. Kein Wunder also, dass der Staat schon immer auch ein Auge auf die Weinproduktion hatte.
Aber warum gibt es heute noch Staatsweingüter und was machen die da eigentlich? Wird da der Wein produziert, den sich Angela Merkel nach Feierabend zu Gemüte führt? Oder ist der Rotwein nur der SPD und der Linkspartei vorbehalten? Fragen über Fragen…aber wir haben auch Antworten! Denn wir konnten Dr. Jürgen Dietrich für ein Interview gewinnen, der seit 2004 das Staatsweingut Meersburg leitet. Wenn wir uns die Bilder ansehen: ein beneidenswerter Job…
Weinwonne: Warum gibt es Staatsweingüter bzw. warum unterhalten die Bundesländer eigene Weingüter?
Dr. Jürgen Dietrich: Jedes Staatsweingut hat seine eigene, besondere Geschichte. Im Wesentlichen kann man aber zwei Arten von Staatsweingütern in Deutschland unterscheiden:
1. Diejenigen mit einem hoheitlichen Auftrag. Diese Weingüter sind eigentlich keine „richtigen“ Unternehmen. Sie betreiben Forschung und Lehre für die weinbauliche und kellerwirtschaftliche Praxis. Der Wein, der als Produkt der unterschiedlichen Versuche herauskommt, wird dann unter der Vermarktungsbezeichnung „Staatsweingut“ verkauft, weil oft der eigentliche Name der Institution, z.B. „Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Weinbau und Obstbau“ einfach nicht so griffig ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass Lehr- und Versuchseinrichtungen nicht profitabel arbeiten können. Deshalb sind solche Staatsweingüter keine Unternehmen im eigentlichen Sinne.
2. Die „richtigen“ Staatsweingüter, die als echte Unternehmen geführt werden, entweder als Landesbetriebe oder GmbH. Die meisten dieser Weingüter stammen ursprünglich aus kirchlichem Besitz und wurden 1802/1803 im Zuge der Säkularisation verstaatlicht, so z. B. die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach, der Staatliche Hofkeller in Würzburg, das Landesweingut Kloster Pforta und das Staatsweingut Meersburg. Es sind Weingüter mit einer großen. mehrhundertjährigen Tradition, die die Weinkultur in ihren Regionen maßgeblich weiterentwickelt und geprägt haben. Diese Weingüter haben neben ihrem kulturellen Auftrag aber in erster Linie den Zweck, Gewinne für ihre Eigentümer zu erwirtschaften.
Weinwonne: Was ist die Aufgabe eines Staatsweingutes? Und was unterscheidet Ihren Alltag von dem eines „normalen“ Weingutsleiters?
Dr. Jürgen Dietrich: Ein bisschen habe ich die Beantwortung dieser Frage schon vorweg genommen. Die Aufgaben eines Staatsweingutes sind mannigfaltig:
1. Erzielung von Gewinnen für den Eigentümer
2. Vorbildfunktion für die privaten Weingüter in der Region
3. Ausbildung des Winzernachwuchses und Beratung der Weingüter in der Region
4. Unterstützung von Lehr- und Forschungseinrichtungen
5. Flaggschiff-Funktion für den regionalen Weinmarkt,
6. Erhaltung der denkmalgeschützten Bausubstanz
7. Pflege von landschaftsprägenden Terrassen und Steillagen
8. Arbeit- und Auftraggeber für viele Menschen in der Region.
Man könnte kurz zusammenfassend sagen, dass ein Staatsweingut wirtschaftliche Erfolge erzielen und gleichzeitig seine Konkurrenten fördern und beraten muss. Dazu kommt noch das Engagement für den Erhalt weinkulturell wertvoller Gebäude und Weinberge.
Der wichtigste Unterschied in meinem Alltag gegenüber der Arbeit in der sog. freien Wirtschaft ist die politische Dimension. Ein Staatsweingut ist im Gegensatz zu einem privaten Unternehmen politisch angreifbar. Der zweite, größere Unterschied ist der höhere Verwaltungsaufwand durch diverse Statistiken und Anfragen von Ministerien und Abgeordneten. Der dritte Unterschied ist die fehlende Konzernraison. Während in der freien Wirtschaft selbstverständlich die Tochterunternehmen einer Holding eng zusammenarbeiten, sind staatliche Verwaltungen eher heterogen strukturiert. Persönliche Befindlichkeiten von verantwortlich Handelnden sind z. B. manchmal eher ausschlaggebend über Auftragsvergaben als der wirtschaftliche Nutzen für den Gesamtkonzern.
Es ist also für mich deutlich anspruchsvoller, ein Staatsweingut zu leiten, als ein privates Unternehmen. Diese Herausforderung stellt einen großen Anreiz für meine Arbeit dar.
Weinwonne: Sie leiten das Staatsweingut Meersburg am Bodensee. Was ist das Besondere an diesem Weingut?
Dr. Jürgen Dietrich: Die wichtigste Besonderheit des Staatsweingutes Meersburg liegt in den Menschen, die sich als „Familie Staatsweingut“ für ihr Weingut engagieren. Wir sind ein erfahrenes und dennoch sehr flexibles und aktives Team. Ich bin glücklich und ein bisschen stolz, mit diesem Team zusammen Außergewöhnliches leisten zu können, wie zum Beispiel:
- Zwei Flurbereinigungen in 10 Jahren, eine davon in einem Naturschutzgebiet, eine unter Denkmalschutz
- Die Modernisierung unserer Kellerei vom Fasskeller bis zum Kelterhaus
- Die FairChoice®-Zertifizierung zum ersten nachhaltig wirtschaftenden Weingut in Baden
- Den 1. Platz im Deutschen Weingutpreis
- Die Zertifizierung zum ersten klimaneutralen Weingut in Baden-Württemberg
Unsere Identifikation mit dem Produkt, mit unseren Kunden, unser Engagement für unsere Eigentümer, die Bürger des Landes Baden-Württemberg, kommt in unserem Claim zum Ausdruck: Wir sind ihr Wein! Dann haben wir mit über 800 Jahren eine besonders lange Geschichte, wir haben besonders gute Weinbergslagen und auch die Lage des Weingutes selbst ist herausragend. Fast zwangsläufig ergibt sich daraus, dass auch die Weine aus unserem Keller etwas ganz besonderes sind 🙂
Deshalb habe ich besonders viel Freude an meiner Arbeit hier in Meersburg am Bodensee.
Weinwonne: Eine persönliche Frage zum Abschluss: Was ist ihr Lieblingswein?
Dr. Jürgen Dietrich: Unsere Weine sind für mich wie Kinder. Ich habe sie alle heranreifen sehen und an ihrer Erziehung, ihrer sensorischen Ausprägung gearbeitet. Sie sind mir deshalb wirklich alle gleich lieb. Ich suche mir zum jeweiligen Anlass den passenden Wein aus. Zum Wild einen schönen Spätburgunder, im Sommer einen frischen Müller-Thurgau oder Spätburgunder Weißherbst und zum guten, feinen Essen Weißburgunder, Grauburgunder oder Riesling. Zum Dessert gibt ein Traminer eine schöne Abrundung.
Weinwonne: Jetzt hab ich Hunger…und natürlich Durst! Vielen Dank für das interessante Interview!
Wenn ihr mehr über das Staatsweingut Meersburg erfahren wollt, könnt ihr einen Blick auf die Webseite werfen.
Das Staatsweingut in Meersburg kenne ich ganz gut. Wunderschön gelegen, sowohl das Gut selber als auch die Lagen, die sich ja nicht nur auf Meersburg beschränken. Bei meinen häufigen Aufenthalten am Bodensee habe ich auch schon einiges an Weinen des Staatsweingutes in der Gastronomie, aber auch im Weingut selbst in Meersburg probiert. Allerdings muß ich sagen, daß ich über ein „ganz nett“ nie hinausgekommen bin. Gar nicht viel weiter liegt z.B. das private Weingut Aufricht, welches -soweit ich das zuordnen kann- in den gleichen, auf jeden Fall nicht weit auseinanderliegenden Lagen Weine produziert, die im gleichen Preisniveau spürbar mehr Handschrift und Charakter haben. Gut, das ist jetzt mein eigener Geschmack, und über den soll man ja nicht streiten. Aber letztlich zählt schließlich, was hinten ‚rauskommt, um mal die Zitatekiste zu bemühen. Und da muß ich leider feststellen, daß im Vergleich mit vielen privaten Winzern, die dann doch irgendwie deutlich mehr Herzblut in „ihren“ Wein investieren, quasi durchgängig eher belanglose Weine produziert werden, die zwar prinzipiell sauber gemacht sind, denen aber jegliche Finesse und / oder Charakter abgeht. „Herzblut“ und „Staatsweingut“ sind wahrscheinlich nicht automatisch beste Freunde. Deshalb ganz ehrlich: wenn es die Staatsweingüter (also ich meine hier ausnahmslos alle, nicht nur die Meersburger) nicht mehr geben würde (weil sie z.B. privatisiert würden), zumindest für mich wäre das kein Verlust.
Ja, die Aussicht ist der Hammer!
Die Weine kenne ich leider nicht so gut, kann mir aber vorstellen, dass sie mit Blick auf den Bodensee umso besser schmecken… 🙂
Es ist wie gesagt Geschmackssache! Eigentlich habe ich alle Weine vom Staatsweingut Meersburg mit Blick auf den Bodensee getrunken, meist in Restaurants, aber auch beim Verkosten vor Ort hat man die Möglichkeit dazu. Im Vergleich gefallen mir persönlich die Weine der „Bodensee-Rebellen“ einfach besser. Also von denjenigen Winzern, die in den letzten Jahren den dortigen Genossenschaften, die neben dem Staatsweingut einen erklecklichen Anteil des Weins in der Region produzieren und sicher stark von der oben erwähnten „Leuchtturmfunktion“ des Staatsweingutes geprägt sind, den Rücken gekehrt haben. Insgesamt ist die Ecke ja nicht unbedingt als Qualitäts-Leuchtturm in Deutschland bekannt. Es gibt dort auch kein einziges VDP-Weingut. Nicht, daß ausschließlich VDP-Mitglieder gute Weine machen, das können andere auch sehr gut, aber ein Indikator für das allgemeine Qualitätslevel in einer Gegend ist die VDP-Dichte meiner Meinung nach schon.
Dazu hat mich ein bißchen irritiert, daß in der Aufzählung der Aufgaben des Staatsweingutes an oberster Stelle die
„Erzielung von Gewinnen für den Eigentümer“
steht und in der weiteren Folge die „Herstellung qualitativ hochwertigen Weins“ oder sinngemäß nicht weiter erwähnt wird.
Deshalb greife ich in einem der vielen schönen und guten Restaurants am Bodensee lieber bei Aufricht, Kress, Schmidt etc. zu. Die Weine des Staatsweinguts haben sicher ihre Berechtigung (und ihre Fans), aber -wie gesagt- vermissen würde ich sie nicht. Angesichts der super Lagen, die das Staatsweingut hat, würde ich dem Betrieb wünschen, daß da im Keller mal jemand ans Ruder kommt, der da ein bißchen mehr Herzblut investiert. Was man da alles draus machen könnte. Die Nachbarn machen’s vor…
hm, ok. In der Ecke kenne ich mich leider überhaupt nicht aus. Kann mir aber vorstellen, dass benachbarte Weingüter eigenständigere Weine produzieren. Das muss ich wohl oder übel mal selbst probieren 🙂
Auch ganz unabhängig vom Thema Wein ist Meersburg mit Umgebung auf jeden Fall eine Reise wert. Allerdings sollte man hinsichtlich Übernachtungen einigermaßen frühzeitig planen oder damit rechnen, etwas mehr im Hinterland unterzukommen. Denn seit aufgrund diverser Geschehnisse in der Welt immer mehr Leute wieder Urlaub in D machen, ist nach Aussage mehrerer Hoteliers und Wirte vor Ort die Zahl der Urlauber / Übernachtungsgäste ziemlich stark angestiegen. Z.B. an solchen langen Wochenenden wie Ostern oder Pfingsten -noch dazu wenn’s schönes Wetter ist- macht’s dann vor lauter Leuten schon wieder weniger Spaß…