Wein Kirchenfenster: Ein Halleluja im Weinglas

Die meisten werden das Phänomen wohl kennen: Beim Schwenken eines Weinglases bilden sich manchmal Schlieren an der Glasinnenseite, die teils erstaunlich lange bestehen und entgegen der Schwerkraft sogar nach oben steigen, bevor der dünne, manchmal reizvoll schimmernde Film wieder sanft im Glas hinab gleitet….und mal sind die Schlieren im Weinglas mehr ausgeprägt, mal weniger. Wieso ist das so? Wie kommt es, dass der Wein im Weinglas gegen die Schwerkraft quasi nach oben schwimmt? Zauberei? Und wie kommt es, dass sich Wein im Glas so unterschiedlich verhalten kann? Aus Gründen tut er das, liebe Freund*innen des guten Geschmacks. Und diese Gründe schauen wir uns jetzt mal an.

Wie du dir sicher denken kannst, gibt es im Weinlatein dafür natürlich einen eigenen Fachausdruck: Kirchenfenster. Klingt erstmal nicht besonders cool. Und diese Brücke erfordert m. E. schon etwas Phantasie, aber Phantsie ist ja nie verkehrt. Menschen mit einer poetischen Ader sprechen auch gerne von Wein Tränen (wobei sie streng genommen eine eigene Erscheinung innerhalb der Kirchenfenster sind). Gefällt mir persönlich besser – andererseits kann das auch ganz gut auf die Stimmung drücken, wenn man frohgemut ein leckeres Glas Wein trinken will, das plötzlich und wiederkehrend zu Weinen beginnt.

Die Kirchenfenster im Weinglas haben natürlich ihren Ursprung im eingeschenkten Wein und sagen einiges über ihn aus. Anhand der Wein Kirchenfenster lässt sich auf die Konzentration verschiedener Inhaltsstoffe im Wein schließen – ein direktes Qualitätskriterium sind sie allerdings nicht. Dies ist mit ein Grund, warum manche Weinprofis ihre Gläser schwenken und sie so konzentriert anstarren, als hätten sie darin ihre Kontaktlinsen verloren.

Wer in der Schule in Physik aufgepasst hat, wird womöglich schon auf der richtigen Fährte sein: es handelt sich um eine bestimmte Art der Konvektion. Die Fließfähigkeit einer Flüssigkeit bezeichnet man als Viskosität – bei zähflüssigen Fluiden spricht man von einer hohen Viskosität, bei dünnflüssigen von einer niedrigen Viskosität. Auch Weine können sich hinsichtlich ihrer Viskosität unterscheiden. Das kennst du sicher selbst: Manchmal ist ein Wein eher dünn und wässrig, manchmal eher dick und sämig – man kann die Viskosität eines Weines richtig „schmecken“. Ob ein Wein eine hohe oder niedrige Viskosität aufweist, hängt davon ab, wie hoch der Alkohol-, Zucker- und Extraktgehalt ist. Als Daumenregel lässt sich bspw. sagen, dass alkoholreiche Weine dickflüssiger sind als alkoholarme.

Die Viskosität alleine ist es nicht, die für die Schlieren im Glas verantwortlich ist – schwenk mal eine dicke, alkoholfreie Flüssigkeit und du wirst meist sehen: nix. Bzw. die Flüssigkeit fließt mehr oder weniger rasch an der Glasinnenseite herab. Es ist die Kombination verschiedener Inhaltsstoffe, die, in Abhängigkeit von der Viskosität, für große und eher spitzbogige oder für kleine, eher rundbogige Kirchenfenster bzw. Weintränen sorgt.

Wein Kirchenfenster: Der Marangoni-Effekt

Kirchenfenster kommen zum Vorschein, wenn du dein Weinglas schwenkst und die Innenseite des Glases benetzt wird. Der Flüssigkeitsfilm fließt nicht sofort ins Glas zurück, sondern bleibt bestehen und bewegt sich bei näherer Betrachtung sogar ein wenig in Richtung Glasöffnung. Um das zu beobachten, musst du zuvor keine Flasche Wein getrunken haben, dieser Effekt lässt sich sogar schon beim ersten Glas Wein entdecken. Seine Ursache hat er in der unterschiedlichen Oberflächenspannung und Verdunstungsgeschwindigkeit von Wasser und Alkohol: Da Alkohol schneller verdunstet als Wasser, erhöht sich bei diesem Vorgang die Oberflächenspannung des Flüssigkeitsfilms, der nun einen höheren Wasseranteil besitzt – und zwar oben stärker als unten, weil zum einen der Weinfilm oben dünner ist als unten, zum anderen weil oben noch der Faktor Belüftung hinzu kommt.

Und jetzt setzt sich eine lange Kettenreaktion in Gang: Infolge der höheren Oberflächenspannung im oberen Glasbereich wird die Oberfläche des Films nach oben gezogen. Und da der dünne Weinfilm noch mit dem Wein im Glas im Kontakt steht, wird beständig frischer Wein in die Schicht hineingezogen. Oben verdunstet der Alkohol und unten wird für Nachschub gesorgt – quasi ein Perpetuum Mobile aus Wein. Fast zumindest.

Auch wenn Wein Kirchenfenster nicht besonders cool klingt, ist der zugrundeliegende Vorgang schon bemerkenswert, oder? Dieser Effekt wird übrigens zu Ehren des italienischen Physikers Carlo Marangoni (dessen Dissertation den schönen Titel „Über die Ausbreitung der Tropfen einer Flüssigkeit“ trug) Marangoni-Konvektion genannt.

Noch ist das Ganze nicht vorbei: Irgendwann bilden sich am oberen Rand Ringe aus der Restflüssigkeit, die reich an nicht verdunsteten Bestandteilen ist. Diese kleinen Ringe werden mit der Zeit schwerer und schwerer und sinken allmählich an der Glasinnenseite hinab, bis sich tropfenförmige Gebilde formen – die Wein Tränen. Auch hier spielen die verschiedenen Oberflächenspannungen noch einmal eine Rolle, aber das sparen wir uns mal, ist für den weiteren Verlauf auch nicht mehr so wichtig.

Früher wurde v.a. das Glycerin, ein höherwertiger Alkohol, für das Zustandekommen von Schlieren bzw Kirchenfenstern im Weinglas verantwortlich gemacht. Dies gilt jedoch mittlerweile als widerlegt, auch wenn unbestritten ist, dass Glycerin eine sehr hohe Viskosität aufweist. Wein trinken ist nicht nur Genuss, sondern auch angewandte Wissenschaft…aber das wussten wir freilich schon vorher, gell?

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